Jutta Kleinschmidt: Elektrisiert am Limit
Warum die Rallye-Dakar-Siegerin glaubt, dass die Elektrifizierung ihres Sports ohne Alternative ist und Frauen helfen wird
Nach Jahren ohne Rennpraxis sitzt Jutta Kleinschmidt wieder im Cockpit. Die erste und bisher einzige Frau, die das berühmte Langstrecken- und Wüstenrennen Rallye Dakar gewinnen konnte, fährt bei der Extreme E direkt vorne mit – in einem elektrisch angetriebenen Rennwagen. Dem Verbrennungsmotor trauert sie nicht nach und hofft, dass die Elektrifizierung neben dem Klimasünder-Image ihres Sport noch ein weiteres Problem beseitigen wird.
Die Offroad-Rennserie Extreme E ist eine Verfolgungsjagd in Elektro-SUVs, die in 4,5 Sekunden von 0 auf 100 km/h beschleunigen können. Erfunden wurde sie von Alejandro Agag, früherer spanischer Politiker und motorsportbegeisterter Unternehmer, der auch hinter der Formel E steckt. Seine Idee: Aufmerksamkeit auf die Folgen der Klimakrise zu richten, indem er die Extreme E an Orte schickt, wo die Veränderungen des Klimas schon heute spürbar sind: Wüstenbildung wie in Saudi-Arabien, die Erhöhung des Meeresspiegels im Senegal oder die Erderwärmung und schmelzende Eisflächen in Grönland.
„Ich glaube, durch Extreme E machen wir die Welt nicht besser, aber durch das Rennen machen wir einen Teil der Bevölkerung aufmerksam auf die Probleme, die herrschen“, sagt Thomas Biermaier, Geschäftsführer von Abt. Das Tuning- und Motorsportunternehmen steht hinter Abt Cupra XE, einem von zwei deutschen Teams, die in der Premierensaison der Rennserie angetreten sind.
Die Saison lief für Abt Cupra XE holprig an. Im ersten Rennen in Al-ʿUla passierte der zunächst gesetzten Fahrerin Claudia Hürtgen ein spektakulärer Unfall. Sie überschlug sich mehrfach in ihrem Wagen in der Wüste Saudi-Arabiens. Als Hürtgen dann beim zweiten Rennen im Senegal kurzfristig wegen eines Infekts absagen musste, sprang Kleinschmidt ein. Eigentlich war die Rallye-Fahrerin in Saudi-Arabien und im Senegal als Beraterin und Ersatzfahrerin dabei gewesen. Kurzerhand und ohne viel Vorbereitung übernahm sie das Steuer – und ersetzte Hürtgen dann dauerhaft für die restliche Saison.
Dank ihrer jahrelangen Karriere im Rennsport konnte Kleinschmidt auch nach einigen Jahren Rennpause solide Ergebnisse einfahren – auch wenn beim dritten Race in Grönland ein technischer Defekt dazwischen kam. Auf Sardinien, beim vierten Rennen der Saison, schien der anfängliche Fluch dann gebrochen. Kleinschmidt und ihr Teamkollege Mattias Ekström erfuhren den zweiten Platz und landeten zum ersten Mal auf dem Treppchen.
„Ich glaube, wir werden in Zukunft viele gute Frauen sehen“
Jutta Kleinschmidt
Eine Besonderheit bei den Rennen: 50 Prozent der Fahrenden sind weiblich. Frau und Mann wechseln sich nach einer Runde ab. Damit ist Extreme E die einzige Rennserie, die so ein geschlechtergerechtes Konzept vorsieht. Für Kleinschmidt die beste Idee überhaupt, denn Frauen im Rennsport hätten bis heute einen ausschlaggebenden Nachteil gegenüber ihren männlichen Kollegen.
Sie könnten viel weniger fahren. Und am Ende entscheide allein Fahrpraxis, davon ist Kleinschmidt überzeugt, wer auf dem Siegerpodest steht. Während Männer mindestens eine komplette Saison im Jahr fahren, sähe das bei Frauen noch ganz anders aus. „Die können das jetzt in Extreme E“, so Kleinschmidt. Auch wenn man hier im Verhältnis zu einem Cross-Country-Event relativ wenig fahre. Dort betragen die Distanzen zwischen den Etappenzielen oft hunderte Kilometer. Eine Runde in einem Extreme-E-Rennen hat eine Länge von rund 16 Kilometern.
Kleinschmidt hofft trotzdem, dass Frauen im Motorsport durch Extreme E genügend Aufmerksamkeit bekommen, sodass sie auch Budget haben oder von einem Team finanziert werden. So könnten sie wieder andere Rennen fahren und noch mehr Fahrerfahrung sammeln. „Ich glaube, wir werden in Zukunft sehr viele gute Frauen, auch im Offroad-Bereich, sehen. Deswegen freue ich mich drüber. Ich glaube, wir haben die Motorsport-Branche schon verändert dieses Jahr“, sagt Kleinschmidt.
Gefahren wird in der Extreme E mit einem Einheitsauto, das speziell für die Serie entwickelt wurde. Der Wagen des Teams von Abt Cupra trägt den Namen „e-CUPRA ABT XE1“, genannt: „das Biest“. Und obwohl es sich um einen Einheitswagen handelt, gibt es genug Parameter, die dynamisch sind: Reifendruck, Fahrhöhen, Spurweite oder Sturzhöhe werden von Strecke zu Strecke angepasst. Und auch die Software, die Antriebsverteilung von Vorder- zur Hinterachse, vor allem in der Kurvenfahrt, werden an Streckencharakteristika angeglichen. „Hab ich langsame Kurven? Hab ich schnelle Kurven? Hab ich Matsch als Untergrund? Ist es nass? Haben wir Steine? Wie rau ist der Untergrund? Das sind alles Themen, auf die wir Strecke für Strecke reagieren“, erklärt Florian Modlinger, Motorsport-Chef bei Abt sowie Lead Engineer und Einsatzleiter bei der Extreme E.
Aber wie fährt sich so ein E-Rennwagen im Vergleich zum Verbrenner? „Wenn man ehrlich ist, dann ist es sogar einfacher zu fahren als ein Fahrzeug mit Schaltung“, sagt Kleinschmidt. Denn beim Schalten versuche man immer, das Fahrzeug bei einer guten Drehzahl zu halten – das falle hier weg, so Kleinschmidt. „Man gibt Gas und dann kommt ordentlich was. Das macht natürlich Spaß!“
„Der Motorsport war schon immer Vorreiter für neue Technologien.“
Jutta Kleinschmidt
Während viele, nicht zuletzt die Fans, dem rein elektrischen Motorsport skeptisch gegenübertreten, blickt Kleinschmidt neugierig und optimistisch in die Zukunft. „Der Motorsport muss Vorreiter sein für neue Technologien. Das war der Motorsport immer“, sagt sie. „Ich bin sehr enthusiastisch, weil ich glaube, der Sport muss in diese Richtung gehen.“ Extreme E könne sehr gut zeigen, dass Motorsport auch elektrisch viel Spannung und Action biete. Auch privat ist Kleinschmidt schon auf E-Antrieb umgestiegen. „Ich liebe mein E-Auto und finde es super praktisch. Aber jeder muss das für sich selbst entscheiden.“
Beim letzten Rennen der Saison am vierten Adventswochenende will Abt Cupra XE noch einmal Vollgas geben. Doch in Dorset, Großbritannien, warten keine leichten Bedingungen auf das Team um Fahrer:innen Jutta Kleinschmidt und Mattias Ekström. „Wir werden da wahrscheinlich nasse, matschige Verhältnisse erleben“, so Kleinschmidt, „was aber wieder sehr spannend ist, weil wir auch unter diesen Bedingungen die neuen Technologien ausprobieren können.“
Auch Abt-Geschäftsführer Thomas Biermaier gibt sich optimistisch: „Wir werden in England noch einmal alles versuchen, um einen guten Saisonabschluss zu schaffen. Unser Ziel ist, ein Rennen zu gewinnen in der ersten Saison.“ Ob Abt Cupra XE definitiv für eine weitere Saison am Start ist, will Biermaier noch nicht sagen. So oder so: „Ein Sieg in England würde die Motivation natürlich noch einmal nach oben schießen lassen“, so Biermaier. Und die bräuchte es, denn die zweite Saison der Rennserie startet bereits im Februar 2022.
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Jutta Kleinschmidt
2001 gewann Jutta Kleinschmidt die Rallye Dakar. Sie ist damit die erste und einzige Frau, die die Langstrecken-Rallye für sich entschieden hat. Kleinschmidt ist eine der Teamleaderinnen bei der FIA Smart Driving Challenge. Die Meisterschaft soll Autofahrer:innen darin schulen, ihre Fahrkünste zu verbessern, das Unfallrisiko zu verringern und die CO2-Emissionen während der Fahrt zu senken.
Sandra Roslan
Die Reifen der Rennserie Extreme E sponsert der deutsche Automobilzulieferer Continental. Sandra Roslan, Projektleiterin Extreme E bei Continental Tires, sagt: „Die gewonnenen Erkenntnisse fließen nicht nur in die Entwicklung der nächsten Generation von Rennreifen, sondern auch in die allgemeine Reifenentwicklung ein.“