Die Verkehrswende steht vor besonderen Herausforderungen: Einerseits werden Autos immer größer, andererseits hat der Radverkehr nicht zuletzt durch die Pandemie massiv zugenommen. Kein Wunder, dass bei akutem Platzmangel dicke Luft auf Deutschlands Straßen herrscht. Immer mehr Konzepte versuchen sich deshalb daran, die Vorteile von Rad und Auto zu verbinden, vor allem im Lieferverkehr.

Doch so vielversprechend und gut designt die Konzepte oft sind, die wenigsten schaffen es auf die Straße: Der „Duo“ von Bio-Hybrid kam niemals aufgrund einer Insolvenz, der „CityQ“ aus Norwegen steht noch ohne Auslieferungsdatum im Internet-Showroom und vom Pedilio sind aktuell zehn Stück in der Produktion. Mit der Verkehrswende hat das noch nicht viel zu tun. Die Macher:innen eines neuen Konzepts aus Westfalen könnten ihrem Projekt mit Fairness und Inklusion zum Erfolg verhelfen.

Seit 2019 arbeiten die beiden Gründer:innen Helen Kessel und Michael Roch mit ihrem Forschungsteam an der Westfälischen Hochschule an einem Fahrradauto namens Fair.be. Es solll die Vorteile beider Fahrzeugklassen vereinen. Neben der Nachhaltigkeit steht besonders der soziale Aspekt im Mittelpunkt. Um lange und intransparente Lieferketten sowie Umweltverschmutzung zu vermeiden, soll die Produktion, soweit es möglich ist, in Deutschland stattfinden – und dabei sozial und wirtschaftlich gewinnbringend sein.

„Fair sein bedeutet für uns, transparent zu sein“

Michael Roch, Gründer von Fair.be

Sozial gewinnbringend bedeutet: Inklusion beginnt nicht erst bei der Fahrzeugnutzung, sondern schon beim Fertigungsprozess. Die Montage der Fahrzeuge könnte in geeigneten Partnerwerkstätten für Menschen mit Behinderung durchgeführt werden. 

Das fertige Fahrzeug kann mit wenigen spezifischen Umbauten auch von Menschen mit Behinderung genutzt werden. Roch und Kessel helfen Menschen ans Steuer, denen das Autofahren aufgrund von kognitiven oder physischen Einschränkungen bislang verwehrt blieb.

Wenn ich groß bin, möchte ich kein Auto sein. Foto: Fair.be

„Fair zu sein, bedeutet für uns außerdem, transparent zu sein: etwa im Hinblick auf Kosten, Herkunft der Komponenten und Open–Source-Veröffentlichungen der Konstruktion“, sagt Roch. Heikle Themen, wie notwendige Rohstoffe für die Batterien, spricht das Team direkt an. Auf entsprechende Rohstoffe wie Lithium, Nickel und Kobalt – meist unter fragwürdigen Arbeitsbedingungen abgebaut – kann zwar nicht verzichtet werden, der Verbrauch ist jedoch wegen des leichten Fahrzeugs deutlich geringer als bei einem herkömmlichen E-Auto. 

Doch die Verkehrswende findet nicht nur auf dem Asphalt statt: Wir können noch so viele E-Autos, E-Scooter oder Microhubs auf die Straße setzen, wenn sich nicht grundsätzlich etwas am Mobilitätsverhalten der Menschen ändert, erreichen wir im besten Fall die Reduktion von Emissionen. In puncto Gleichberechtigung aller Gesellschaftsbereiche hätten wir dann unsere Hausaufgaben jedoch nicht erledigt.

Bei Fair.be geht es um die Verschiebung der Dominanz von Mobilitätsformen

Der Ansatz von Fair.be rückt soziale und inklusive Mobilität in den Fokus. So soll nicht etwa das Auto abgeschafft werden, wie es von manchen Interessenvertreter:innen oder passionierten Autofahrer:innen vorgeworfen wird. Es  geht vielmehr um eine Verschiebung der Dominanz von Mobilitätsformen – zugunsten von Gleichberechtigung. Damit dies geschehen kann, müssen allerdings einige der gewohnten Privilegien – des Autos – abgelegt werden; und das tut vermeintlich ein bisschen weh. Helen Kessel und Michael Roch machen vor, was mit inklusiver Mobilität gemeint ist: das Mitdenken von allen Akteur:innen

Schon der erste Prototyp des Fair.be-Fahrradautos soll in einer sozialen Einrichtung getestet werden. In einem Pilotprojekt mit der Diakonie im Kirchenkreis Recklinghausen sollen die Fahrzeuge im Arbeitsalltag erprobt werden. Die Weiterentwicklung erfolgt dann nach den realen Anforderungen der Nutzer:innen. So kommen die beiden Gründer:innen von Fair.be ihrem Ziel langsam näher: einer Zukunft, in der „Platz für die Lebensqualität, Sicherheit und Bedürfnisse aller Menschen geschaffen wird und Mobilität bedürfnisorientierter, gesünder und moderner gelebt wird.“

Want to know more?

Åge Højmark

Åge Højmark

ist seit Januar diesen Jahres der neue CEO der Firma Podbike, die das Fahrradauto Frikar herstellen. Das E-Bike wurde erfunden um das Radfahren für mehr Menschen und alle Jahreszeiten attraktiv zu machen. Als CEO soll Højmark das E-Bike zur Serienreife bringen.

Roman Arnold

Roman Arnold

ist CEO des Fahrradherstellers Canyon. Nicht ganz so greifbar, dafür umso futuristischer hat das Unternehmen versucht E-Bike und Auto zu vereinen. Herausgekommen ist ein Zukunftskonzept, dass es vielleicht irgendwann auf die Straßen schaffen könnte.