Wie definierst du für dich die Verkehrswende?

Am wichtigsten für die Verkehrswende: Kein Sex mit Menschen, die mir dem Auto zu Bäcker fahren. Das ist ein absolutes No-Ride! Und natürlich müssen die Verkehrsflächen hart quotiert werden: Jeweils 25 % für Fußverkehr, Radverkehr, ÖPNV und Auto. Was das Tempo angeht: No limit is over. Mit einer maximalen Geschwindigkeit von 30 (innerorts), 80 (Landstraße) und 120 (Autobahn) kommen wir alle sicherer ans Ziel. Zum Güterverkehr: Her mit neuen Gleisen, Terminals und Ideen! Mit Bahn, Lastentram und Cargobikes für die letzte Meile können die Straßen von den LKWs entlastet werden. Wie benötigen dann auch keine neuen Autobahnen mehr. Der Autobahnbahn und -ausbau ist in Deutschland abgeschlossen. Over, vorbei, aus, Finale. Wir brauchen eine Autobahn-Moratorium zu Gunsten des Baus von Bahntrassen nach Schweizer Vorbild. Nicht kleckern, sondern klotzen. Mit Wumms durch Berge und Täler. Aber auch die Bimmelbahn auf dem Land nicht vergessen. Die Stilllegungsorgie der letzten 50 Jahre beenden und Strecken reaktivieren. 

Wie sieht dein persönlicher Mobilitätsmix aus? 

Ich fahre mit dem Rad, wo es geht, ansonsten bin ich Fußgänger, Öffi-Nutzer und extrem ordnungsfanatischer Autofahrer. Ich halte die komplette StVO ein und fahre bei erlaubten 30 km/h nicht schneller als 30 km/h. Die Hupheinis hinter mir ertrage ich mit stoischer Gelassenheit.

„Das deutsche Verkehrsministerium unter niederländische Zwangsverwaltung stellen“

Bernd Schmitt

Und wie sollte er aussehen, damit du zufrieden bist?

Ich bin zufrieden, wenn ich mir aussuchen kann, welches Verkehrsmittel ich nehme. Wenn ich zum Auto gezwungen werde, bin ich unzufrieden. Niemand soll zum Auto gezwungen werden. Der Autozwang gehört abgeschafft.

Hast du eine Vision, die du mit deinem Profil verfolgst?

Zwang ist aber nicht generell schlecht. Die Radkolumne kämpft dafür, das deutsche Verkehrsministerium unter niederländische Zwangsverwaltung zu stellen. 

Paris, „Stadt der Fahrradliebe“. Grund ist zum Beispiel der Pont de Bercy, schöner und sicherer kann man als Biker die Seine nicht queren

Wie gehst du mit Hatern um?
Die müssen bei mir schon sehr unangenehm sein, bevor ich mute oder blocke. Ich bin da sportlich. „Du Ideologe, Fanatiker, Autohasser“ haut mich nicht vom Hocker. Meine Mittel sind softer: Ich gehe vom du auf Sie und versuche eine Ebene zu finden, auf der die Kommunikation noch funktioniert. Manche Hater entpuppen sich auch als Leute, mit dem dann doch noch irgendwas geht. Nur in der Fahrradbubble zu bleiben ist Selbstbeweihräucherung. Ich würde mich selbst verkehrspolitisch als grün bezeichnen, hab aber auch Mutuals bei CDU- und FDP-Politikern. Kein Problem. Und dann ist da noch die Sache mit dem Twitter-Algorithmus. Kontroverse Diskussionen sorgen halt auch für mehr Sichtbarkeit. Reine Polemik mache ich aber nicht, ich hab keinen Bock auf Verpetzen und gegenseitiges Anzeigen. Ich züchte mir keine Hater-Blase heran. Und: ich liebe Twitter. Geile Plattform, prima Leute, beste Plattform, um den eigenen Horizont zu erweitern. Ich bin hochgradig twittersüchtig und das ist gut so!

Die aktuell größte Herausforderung in der Mobilitätswende ist …?

Die jahrzehntelange, einseitige Fixierung auf das Auto hat in Deutschland tiefe Spuren hinterlassen. Die Herausforderung liegt in den Köpfen. Bestes Beispiel ist der Begriff Verkehrswende, die oft auf die Antriebswende reduziert wird. Auf die Antriebswende, mit Verlaub, ist geschissen! Sichere Schulwege sind wichtiger als Ladesäulen. 

Deine Forderung(en) an …

… die Politik?

Meine Forderung an die Politik: Tempo 30 für die Kommunen freigeben, die das haben wollen. Hey, die FDP hat das Verkehrsministerium gekapert. Liberaler geht es ja wohl nicht.

… die Wirtschaft?

Meine Forderung an die Wirtschaft: Kommt mal im 21. Jahrhundert an. Schaut euch Städte wie Paris, Kopenhagen, Amsterdam oder Utrecht an. Da wird immer noch eingekauft. Und an die Fahrradwirtschaft gerichtet: Bleibt dran, ihr schafft die Arbeitsplätze der Zukunft.

„Pfusch bei der Verkehrsführung kotzt mich jeden Tag neu an“

Wer ist in Sachen Verkehrswende gerade richtig gut unterwegs? 

Richtig gut unterwegs in Sachen Verkehrswende sind Cargobike-Verleiher wie Sigo (bundesweit) und Avocargo (Berlin). Diese Start-Ups erreichen endlich auch Leute außerhalb der Fahrradbubble. Menschen, die Blumenerde aus dem Baumarkt und einen Bierkasten aus dem Getränkemarkt holen. Auf die kommt es an. 

Welchen Menschen in der Mobilitätsbranche sollte man – neben dir – folgen?

Wer auf Twitter unterwegs ist sollte @CargoBikeJetzt, @CCitiesOrg und (für München) @sonja_haider folgen. Guten Input hat auch @kkklawitter.

Gibt es einen Ort, der für dich die Zukunft der Mobilität erlebbar macht?  
Wer die Mobilität der Zukunft erradeln möchte: Paris, die Stadt der Fahrradliebe, wandelt sich so schnell wie kein anderer Ort auf dem Planeten. Konkret heißt das: Autos raus, Parkplätze weg, freie Ufer für die Seine. Die Nase im Wind haben auch Utrecht, Amsterdam, Kopenhagen, und am ordentlichsten verwalteten Bezirk von Berlin: Friedrichshain-Kreuzberg.

Dein bislang schönster Mobilitätswende-Moment?

Die Anti-IAA-Demo 2019 in Frankfurt. Das war ein Woodstock-Feeling vor der Messe, mit Bikes und Bands. 

Und der schrecklichste?

Schreckliche Momente hab ich on the road: Die ganzen Pfuschlösungen bei der Verkehrsführung kotzen mich jeden Tag neu an. 

Was macht dir Hoffnung? 

Die Professionalisierung der Fahrradszene. Die Hinterhofzeiten sind vorbei, wir sind die Mitte der Gesellschaft. Nicht verstehen will das allerdings mein persönliches Umfeld. Dieses höfliche Schweigen, wenn ich von meinen Verkehrswende-Träumen erzähle …

BERND SCHMITT

Der IT-ler aus Würzburg nennt sich selbst den „Schrecken der Petrolheads“ und gehört zu den profiliertesten wie unterhaltsamsten Stimmen von #verkehrswende-Twitter. Seinen Account und den zugehörigen Blog hat Bernd Schmitt am 3. Juni 2018 gestartet, dem ersten Welttag des Fahrrads. Inzwischen hat er mehr als 10.000 Follower:innen, darunter der offizielle Account des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr.