Wie ein Bayer zum illegalen Diesel-Dealer wurde
Nico Zieglmeier verkauft an drei seiner Tankstellen einen CO2-sparenden Dieselersatz, der in Deutschland aber verboten ist. Warum?
Ein Schrobenhausener hat scheinbar geschafft, wovon der ehemalige E-Fuel-Minister Andreas Scheuer nur träumen kann: In der oberbayerischen Spargelregion verkauft Nico Zieglmeier einen Dieselersatz, der ohne Umrüstung den CO2-Ausstoß eines dieselbetriebenen Lkws, Autos oder einer Baumaschine um bis zu 90 Prozent reduzieren soll. Der pflanzliche Sprit aus Speiseresten soll auch zu einer besseren Leistung bei kalten Temperaturen führen. Zudem sorgt der HVO 100 genannte Kraftstoff für 20 Prozent weniger Partikel- und rund 30 Prozent weniger Stickstoffemissionen.
Doch trotz all der augenscheinlichen Vorteile ist Zieglmeier der bis dato einzige Anbieter von HVO 100 in Deutschland. Der Dieselersatz ist seinen Aussagen zufolge in den Benelux-Staaten und Skandinavien verbreitet, jeden Tag fahren unzählige mit HVO 100 betankte Lkw durch Deutschland. Er verkauft ihn illegal. In einem TV-Interview führte er kürzlich als Grund die hohe Verbreitung des Diesels an, hier könne man sofort echte Effekte fürs Klima erzielen. Warum also kann man HVO 100 nicht einfach tanken?
Alles erinnert ein wenig an „Blaubes Salatöl-Tagebuch“. Darin dokumentierte der „Auto Bild“-Redakteur Wolfgang Blaube von 2000 bis 2004 sein Leben mit einem mit Salatöl betriebenen Golf. Und tatsächlich hat VW erst kürzlich seine modernen Dieselmotoren für das Wunderzeug HVO 100 freigegeben. Das hydrierte Pflanzenöl wird überwiegend aus Abfall- und Speiseresten hergestellt. Das Umweltbundesamt zweifelt dennoch an dessen Nachhaltigkeit, weil Palmöl enthalten sein könnte. Zugleich greift die Behörde aber nicht in der Nahrungsmittelindustrie durch, wo das den Regenwald zerstörende Öl weiterhin zu Speiseeis und Schokolade verarbeitet werden darf.
Tatsächlich landet auch ohne HVO 100 bereits jede Menge Palmöl im Tank. Vereinigungen wie Rettet den Regenwald erinnern, dass die Mineralölindustrie dem Diesel und Superbenzin Biosprit beimischen müsse, um deutschen und EU-Gesetzen zu genügen. Außerdem gingen “bereits 61 Prozent der Palmölimporte in die Produktion von Biodiesel”. 2017 waren es demzufolge bereits 3,9 Millionen Tonnen mit steigender Tendenz. Ist der Tankwart aus Oberbayern also gar kein Öko-Aktivist, sondern ein Klimakiller?
Auch wenn Zieglmeier die Treibstoffquelle nicht preisgibt, lohnt ein Blick zum Spritverkäufer Tool-Fuel: Das Unternehmen vertreibt im Ausland die hierzulande auch als C.A.R.E.-Diesel bekannte pflanzlichen Reinform HVO 100 und schreibt zu den Bedenken unter anderem, dass „die Rodung von Wald- und Feuchtgebieten, Torfmooren und Flächen mit hoher Biodiversität für den Rohstoffanbau streng verboten“ sei. Seit 2019 soll kein HVO mehr unter dem Namen C.A.R.E.-Diesel vermarktet worden sein, für dessen Herstellung Palmöl verwendet wurde. Stattdessen sollen für die Herstellung Dieselersatzes ausschließlich Rest- und Abfallstoffe verwendet werden. Das verspricht auch Tankstellenbetreiber Zieglmeier.
„Das ist nur wenig mehr als Nichts“
Maximilian Fichtner, Helmholtz Institut Ulm
In einem Kommentar warnt Maximilian Fichtner, Batterieforscher vom Helmholtz Institut in Ulm dennoch vor einer Scheinlösung: „Durch die geringe Menge an alten Frittenfett könnte man maximal 1% des derzeitigen Kraftstoffs damit ersetzen. Das ist nur wenig mehr als Nichts.“ Auch die aufwendige Infrastruktur zur Sammlung und Umwandlung des Öls stelle ein Problem dar, wodurch der Preis ein Vielfaches dessen betragen würde, was Diesel heute koste. Nur wenige Interessent:innen würden dann noch Diesel kaufen, vermutet Fichtner. Da neben HVO 100 auch die Zukunft von E-Fuels im Auto unausweichlich scheint, ist der Verbrennerausstieg damit unvermeidbar.
Dennoch, im Jahr 2020 stellte auch der Bundestag fest: „Anders als Biokraftstoffe der ersten Generation benötigen abfallbasierte Kraftstoffe z. B. aus Altspeisefetten keine landwirtschaftlichen Produktionsflächen und begegnen daher hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit deutlich weniger Bedenken.“ Wenn das HVO 100 von Zieglmeier tatsächlich aus Speiseresten und nicht unter Beimischung von Palmöl entsteht, sollte Diesel aus derartigen Quellen auch in Deutschland zugelassen sein. Das sagt auch der Skeptiker Fichtner. Every little helps, warum also nicht Frittenfettdiesel tanken?
Want to know more?
Ralf Thier
Der FDP-Politiker aus Rheurdt (NRW) fordert, dass die Fahrzeuge der Gemeinde künftig mit HVO 100 betrieben werden sollten. Begründet wurde das mit den verhältnismäßig geringen Mehrkosten von nur 1.700 Euro pro Jahr für den örtlichen Bauhof, ein teurer Austausch der Fahrzeuge rentiere sich nicht. Aufgrund der naturgegebenen HVO 100-Knappheit dürfte Thiers Rechnung allerdings nicht aufgehen.
Nico Zieglmeier
Schon in den 1940er-Jahren hat die Familie Zieglmeier den ersten Dieselkraftstoff verkauft, in den 50ern folgte dann die erste Tankstelle. 2000 übernahmen Nico und Ulrike Zieglmeier das Geschäft, 2012 übernahm er den Betrieb ganzheitlich. Heute führt er elf Tankstellen in Oberbayern, an einigen davon führt er bereits HVO 100 oder Alternativen mit HVO-Anteil.