Wie ein Autobauer dem Kodak-Schicksal entrinnen will
Bus statt Dienstwagen: Das Münchner Start-up Mobiko will helfen, die Mobilitätswende voranzubringen. Initiiert wurde es von: Audi
Mobilitätsbudgets sind gerade ein ziemlich heißes Thema. Vor allem junge Mitarbeitende legen immer weniger Wert auf einen Dienstwagen als Statusnachweis. Sie wollen multimodal mobil sein und das möglichst unkompliziert. Darum adressiert das Start-up Mobiko aus München einen wachsenden Need von Leuten, die mal den Bus, mal Carsharing, mal ein Fahrrad-Abo benutzen: die bequeme Erfassung von Tickets und Rechnungen samt Erstattung mit dem Gehalt des Folgemonats.
So trivial das klingt, Mobiko löst damit eine der nervigsten Aufgaben für Arbeitgeber. Die Algorithmen der Münchner sorgen dafür, sämtliche Mobilitätskosten steuerlich korrekt zu erfassen und abzurechnen. Spektakulärer als das Produkt ist allerdings dessen Hintergrund. Mobiko ist kein Garagen-Start-up, sondern eine Ausgründung von Audi Business Innovation (ABI), einer eigenständigen Tochterfirma des Autoherstellers. Und wirklich interessant – und lehrreich – wird die Story, weil ABI-Chef Andreas Sicheneder über Mobiko sagt: „Das war zu Beginn überhaupt nicht so geplant.“
Ursprünglich hatte die heutige Mobiko-Geschäftsführerin und COO Nicola Büsse nämlich die Idee verfolgt, die Themen Dienstwagen und Sharing zusammenzubringen. Denn das klassische Leasing-Modell verliert seit Jahren an Bedeutung. Das spüre man bei Audi wie bei allen anderen Herstellern, so Büsse. Dagegen wachse das Interesse an flexibleren Alternativen individuell ohne belastenden Besitz mobil zu sein. Aus der Perspektive eines Unternehmens, das sein Geld mit dem Verkauf von Autos verdient, ist das natürlich keine optimale Entwicklung.
Vor diesem Hintergrund ist ein Service wie Mobiko ein smarter Move für einen Autohersteller. Wenn der Trend schon weg vom eigenen Fahrzeug geht, dann kann man ja zumindest versuchen, an der Mobilitätswende mitzuverdienen. So clever diese Idee klingt, so verwegen mag sie sich für manchen anhören, der sein Berufsleben lang mit der Gewissheit gelebt hat, dass sein Arbeitgeber Geld mit Herstellung, Vermarktung und Verkauf von Fahrzeugen verdient. Nicht ganz abwegiger Gedanke: Ein komplett digitales, über das Auto hinaus zielendes Geschäftsmodell wie das von Mobiko könnte unter solchen Entscheider:innen schnell unter die Räder geraten.
„Ein Zaun um ein Pflänzchen, damit die Rehe nicht die Blätter abknabbern“
Nicola Büsse, COO Mobiko
Damit genau das nicht passiert – dass digitale Ideen im Umfeld einer über Jahrzehnte gewachsenen Ingenieurskultur zerrieben werden – wurde im Jahr 2013 Audi Business Innovation gegründet. Außerhalb der Konzernstrukturen und abseits vom Ingolstädter Headquarter in der Münchner Innenstadt platziert. Das erklärte Ziel: Das Kerngeschäft der Autoindustrie neu zu denken und auf dieser Basis digitale Produkte zu entwickeln.
Die rund 80 Kilometer Luftlinie zwischen der Audi-Zentrale und den ABI-Büros unweit des Münchner Hofbräuhauses scheinen dafür notwendig. Mobiko-Chefin Büsse, die zuvor selbst viele Jahre im Bereich Business Innovation bei unterschiedlichen Unternehmen der Autoindustrie tätig gewesen ist, verwendet dafür ein schönes Bild: Das sei „wie einen Zaun um ein Pflänzchen zu ziehen, damit die Rehe nicht die frischen Blätter abknabbern.“
So haben sie hier in München die Freiheit, ihr Produkt konsequent in Richtung Nachhaltigkeit und Mobilitätswende zu entwickeln. Zum Teil werde das bei Themen wie E-Mobilität, Dienstrad oder ÖPNV-Nutzung ohnehin vom Steuerrecht vorgegeben, so Büsse. Die Mitarbeitenden würden durch die Nutzung der App dann lernen, wo sie am meisten rückerstattet bekommen, und das sei oft die nachhaltigste Option. Allerdings wollen Büsse und ihr Team die Nutzer:innen auch aktiv zu einer Verhaltensänderung bewegen. Sie strebe Partnerschaften mit „möglichst vielen, möglichst grünen Sharing-Anbietern“ an. Die würden in einer eigenen Sektion und mit Rabattgutscheinen vorgestellt. Solche Ideen wolle man weiter ausbauen, sagt Büsse.
„Ein Proof of Concept, wie wir denken“
Andreas Sicheneder, CEO Audi Business Innovation
Spannend an Mobiko ist auch das Potenzial des Markts, den das Start-up adressiert. Der ist nicht so margenstark wie das Leasinggeschäft – aber um ein vielfaches größer. Dienstwagenberechtigte würden nur einen sehr geringen Prozentsatz der Beschäftigten ausmachen. Sagt Büsse. Trotzdem werde in vielen Unternehmen beim Thema Mobilität der Mitarbeitenden in erster Linie auf dieses Segment geblickt. „Das finde ich total verrückt“, sagt Büsse. Erwartungsgemäß befinden sich unter den rund 80 Kunden von Mobiko vor allem digital-affine Firmen mit einer eher jüngeren Belegschaft. Dort gebe es viele Leute, „denen wichtig ist, dass der Arbeitgeber Nachhaltigkeit auch wirklich lebt und nicht nur auf dem Papier vorgibt“, so Büsse.
Vor einigen Monaten hat Mobiko eine Partnerschaft mit Fleet Logistics bekannt gegeben. Der Flotten-Dienstleister managed für seine Kunden mehr als 180.000 Fahrzeuge in 27 Ländern. Künftig soll denen zunächst in Deutschland, später europaweit der Service von Mobiko angeboten werden. „Das ist eine logische Erweiterung unserer Strategie“, sagt Büsse über die strategische Partnerschaft. Denn ihr Bestreben sei es, Zugang zu den großen Unternehmen zu bekommen, und das dort noch immer vorherrschende Verständnis von Mobilität als Synonym für Fuhrpark aufzubrechen.
Wenn man so will, hat die Münchner Audi-Tochter hinter dem schützenden Zaun und außerhalb der Bissweite knabbernder Konzernrehe ein Start-up aufgezogen, das nun seinerseits am Stammgeschäft der Mutter nagt. Tatsächlich muss man die ganze Sache aber vermutlich anders betrachten: Mobiko sei „ein Proof of Concept, wie wir bei Audi Business Innovation denken“, sagt CEO Sicheneder. Es geht um die Bereitschaft, knospende Ideen einfach mal wachsen zu lassen, bis man erkennen kann, was für eine digitale Geschäftsidee sich hier entwickelt. Aber auch um die Offenheit dafür, dass neue Businessmodelle das Potenzial haben können, die Erosion des Status quo zu beschleunigen.
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Andreas Sicheneder
Gelernter Car Guy mit Leidenschaft für Digitales: Der CEO der Audi Business Innovation GmbH kümmert sich darum, den Premium-Anspruch der Marke zu digitalen Geschäftsmodellen weiterzuentwickeln. Andreas Sicheneders Vision: ein „Service-Portfolio um Lebenswelten herum zu bauen“.
Simon Hecker
Das Start-up 4.Screen ist kein Gewächs des ABI, aber ein gutes Beispiel, wie digitale Businessmodelle im Automotive-Bereich aussehen: Das Team um Co-Founder Simon Hecker bietet In-Car-Marketing in Form standortbasierter Hinweise und Gutscheine auf dem Fahrzeug-Navi. Neuester Partner: Audi.