Des einen enttäuschte Hoffnung ist oft günstige Gelegenheit für einen anderen. Die von den Käufer:innen zunichte gemachten Pläne der Automobilindustrie zum Beispiel: Die habe kalkuliert, dass 40 Prozent der Neuwagenkäufer:innen nach Ablauf der kostenlose Testphase dafür bezahlen würden, weiterhin digitale Zusatzangebote nutzen zu können. Es geht dabei um Apple Carplay oder ein besonders leistungsfähiges Navigationssystem. Tatsächlich seien aber nur acht Prozent bereit, für sogenannte Value-added Services Geld auszugeben, sagt Simon Hecker. „Zurecht“.

Hecker ist einer der drei Gründer von 4Screen. Sein Urteil über die gefloppte Strategie der Autobauer fällt er aus zwei Gründen. Zum einen fragen sich die Kund:innen, warum sie erst mehrere zehntausend Euro für ein Fahrzeug bezahlen, und anschließend noch rund 70 Euro im Jahr abdrücken sollen, nur um ihr Smartphone mit dem Entertainmentsystem koppeln zu können. Zum anderen, weil genau darin die große Chance für das Geschäftsmodell von 4Screen steckt. Heckers Start-up bietet den Autoherstellern nämlich einen Weg, auch mit sparsamen Kund:innen zusätzliche Einnahmen zu erzielen – und künftig vielleicht ein komplett neues Geschäftsmodell: Mobilität als werbefinanziertes Freemium-Produkt wie Spotify oder Youtube.

4Screen hat In-Car-Marketing erfunden. Konkret machen die Münchner die Head-Unit, vulgo Navi genannt, zur Werbefläche. Allerdings nicht auf eine nervige Art und Weise mit Pop-ups und blinkenden Animationen. Das wäre weder erlaubt, noch würden die Hersteller es zulassen. Und ohne die als Partner würde das Business gar nicht funktionieren. 4Screen braucht neben dem Zugang zum Display nämlich auch Daten aus dem Fahrzeug, um seinen Service überhaupt anbieten und abrechnen zu können. Auch würden nur Anzeigen ausgespielt, „die relevant für den Fahrer sind und einen Mehrwert bieten wie vergünstigtes Parken oder kostenloses Laden des E-Autos“, sagt Hecker.

Exklusive Daten und die Hoheit über die Schnittstellen sind der größte Schatz, den Hersteller besitzen. Was diese natürlich auch wissen. Darum herrscht eine große Offenheit für neue Konzepte. FUTURE MOVES hatte bereits über den CEO von Holoride im Podcast, der Informationen wie aktueller Ort, Beschleunigung und Lenkrichtung für ein neues VR-Entertainment-System nutzt. 4Screen bedient sich ebenfalls bei Geodaten und zudem Informationen zu Fahrzeugmodell und Antriebsart sowie der aktuellen Zahl der Mitfahrenden. Diese Daten fließen dann ins Targeting der Anzeigen ein.

Die Technologie von 4Screen bettet ortsbasierte Anzeigen in die Karten des Navigationssystems ein. Das kann – wie man es von Google Maps kennt – in Form eines Firmenlogos passieren, das als Pin an der entsprechenden Stelle eines Geschäfts erscheint. Oder in Gestalt eines kleinen Fensters. Das öffnet sich bei niedriger Geschwindigkeit öffnet oder wie in der Waze-App an der Ampel und künftig auch beim semi-autonomen Fahren. In den Anzeigen bietet dann beispielsweise der Betreiber 50 Prozent Rabatt an, wenn man sein Parkhaus zwei Straßen weiter nutzt. Optional öffnet sich dann ein QR-Code auf dem Display, über den sich ein entsprechender Gutschein aufs Smartphone holen lässt.

„McDonald’s hört uns nicht zu, wenn wir nur Zugriff auf ein paar Fahrzeuge haben“

Simon Hecker, Gründer 4Screen

Bei der Buchung von Anzeigen können 4Screen-Kund:innen diverse Parameter auswählen. Restaurants definieren beispielsweise, dass ihre Ads nur in voll besetzten Autos ausgespielt werden, oder Baumärkte, dass ihre Mitnahme-Angebote nur in Fahrzeugen ab einer gewissen Größe angezeigt werden. Die hierfür notwendigen Daten bekommt 4Screen anonymisiert von den Autoherstellern, die dafür wiederum eine Provision erhalten. „Wir wissen nie genau, wer die Fahrerin oder der Fahrer ist“, sagt Hecker. Zudem erhalten die Autohersteller die Hoheit, welche Produkte in den Fahrzeugen beworben werden. Alkohol und Konkurrenten müssen draußen bleiben.

Aktuell sei das System in einigen Zehntausend Skodas live, sagt Hecker. Demnächst kämen zwei Premium-Hersteller dazu, 4Screen erhalte dann Zugriff auf mehrere Hunderttausend Fahrzeuge. Weitere würden folgen. Weil ihr System mit älteren Head-Units kompatibel ist, habe das Start-up schon über zwei Millionen Fahrzeuge unter Vertrag, so Hecker. Insgesamt seien bereits zehn Millionen 4Screen-fähige Autos in Deutschland unterwegs und jedes Jahr kämen weitere drei Millionen hinzu. 

Vom Tank ins Head-up Display: Künftig könnten auf die Frontscheibe projizierte animierte Tiger den Weg zum Zoo weisen. Bild: 4Screen

Wie bei jedem Plattform-Modell mussten sich auch die drei Gründer mit dem klassischen Henne-Ei-Problem auseinandersetzen. „McDonald’s hört uns nicht zu, wenn wir nur Zugriff auf ein paar Fahrzeuge oder einen Hersteller haben“, sagt Hecker. Die Hersteller wiederum seien nicht so agil wie ein Start-up. Die technische Integration benötige zwar nur drei bis sechs Monate, so Hecker. „Das Problem sind die Verhandlungen, die bis zu eineinhalb Jahre dauern.“

Mittlerweile seien jedoch fünf der großen Autohersteller und über 100.000 Locations von Werbepartnern an Bord. Darunter die Parkhausbetreiber Apcoa und Contipark sowie Kaufland und Puma. Auch wenn der Sportartikelhändler mit seinen rund 20 Stores in Deutschland nicht „super-groß skaliert“, helfe es, die Lifestyle-Brand auf der Kundenliste zu haben. Und Puma habe tatsächlich über eine Special-Deal-Anzeige sogar schon erste Sneaker an Autofahrende verkauft. 

Auch wenn aktuell der Roll-out in Deutschland und demnächst im UK anstehen, denkt Hecker bereits weiter. Im Fokus seiner Überlegungen stehen Head-up-Displays (HUD). Die werden in den kommenden Jahren in immer mehr Fahrzeugen zu finden sein. HUDs werden noch immersiveres In-Car-Marketing ermöglichen, indem beispielsweise animierte Logos oder anderer Sponsored Content über die Straße gelegt werden.

Vor allem hofft Hecker aber, 4Screen zum Wegbereiter dieser Technologie zu machen. Denn die HUD-Systeme stehen aktuell mit mehreren Tausend Euro in den Preislisten der Autobauer. Bildschirmfüllende HUDs, die animierte AR-Sequenzen ermöglichen sollen, dürften nicht billiger werden. Über gesponserte Anzeigen ließe sie sich die Technologie querfinanzieren, so der 4Screen-Gründer. Nach demselben Modell sei es theoretisch auch heute schon möglich, die Value-added Services nach der Freemium-Logik von Spotify und Youtube anzubieten.

„Google möchte die Kundenschnittstelle besetzen“

Die große Vision der Münchner geht allerdings noch deutlich weiter. In Verbindung mit autonomen Fahrzeugen könnten Betreiber von Fahrzeugflotten die Technologie von 4Screen nutzen, um Sponsored Rides anzubieten. Dann würde beispielsweise ein Fashion-Unternehmen wie Puma keine Anzeigen mit schnöden Rabattcodes mehr schalten. Firmen könnten dann ihren besten Kund:innen kostenlose Fahrten von der Wohnung bis vor den Flagship-Store, die Mall oder das Restaurant spendieren.

Doch zunächst muss sich die Werbeplattform gegen mächtige Konkurrenz durchsetzen. Allen voran Google. Dabei sehen sich Hecker und seine Mitgründer, die für 4Screen ihre Jobs bei BMW kündigten, als Verbündete der Industrie. „Google möchte die Kundenschnittstelle besetzen“, sagt Hecker. Der Tech-Riese dränge sich immer zwischen die Fahrer:innen und Hersteller. Bei 4Screen dagegen liege die Kontrolle bei den Autobauern. Auch für die Verkehrsteilnehmer:innen könnten die Anzeigen im Auto am Ende einen positiven Effekt haben. Denn kostenlose Value-added Services haben das Potenzial, das Smartphone als Second-Screen abzulösen. Und wenn Autofahrende nicht mehr das Handy zücken müssen, um ihre Musik zu steuern, wäre das nicht nur bequemer. Es würde auch die Straßen ein Stück sicherer machen.

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Simon Hecker

Simon Hecker

Wie seine drei Mitgründer kündigte Simon Hecker vor zwei Jahren seinen Job bei BMW. Dort hatte er sich um die Strategie für digitale Produkte, Sprachassistenz und On-Board-Entertainment gekümmert. Seine Co-Founder kümmerten sich um Vorschlagsfunktion im Navi sowie die Integration von Amazon Alexa.

Bram Schot

Bram Schot

Der Automanager Bram Schot gehört zu den ersten Investoren in 4Screen. Auf Stationen bei DaimlerChrysler, Audi und weiteren VW-Konzernmarken sammelte er Kontakte, die ihn zum wichtigen Türöffner für das Start-up machen. Dasselbe gilt für Matthias Müller, Ex-CEO von Porsche und Volkswagen.