Die Tops und Flops der Verkehrswende
In Zeiten der Verkehrswende gibt es immer mehr Ideen, die uns helfen sollen, sich grüner fortzubewegen und CO2-Emissionen einzusparen. Welche Ideen unsere Verkehrswende bereichern – und welche nicht
Im Kampf gegen den Klimawandel gibt es viele Ideen und Vorschläge, die uns helfen sollen, unseren Planeten zu retten. Fakt ist, viele Städte können sich noch immer nicht vor Blechlawinen retten, vernünftige Fahrradwege sind nach wie vor die Ausnahme, ein gutes ÖPNV-Angebot gerade auf dem Land meist Fehlanzeige. Bis jetzt ist wenig Besserung in Sicht, doch immerhin machen sich viele Städte, Kreise und Unternehmen Gedanken zu nachhaltigen, fairen und digitalen Angeboten.
In den letzten Monaten (und Jahren) sind viele Angebote und Ideen entstanden. In manche hat sich die FUTURE MOVES-Redaktion auf den ersten Blick verliebt, andere ergeben erst auf den zweiten Blick Sinn. Und dann gibt es noch jene Ideen, die einfach Mumpitz sind. Sie sind viel zu kompliziert in der Bedienung, strotzen vor Greenwashing oder sind sogar klimaschädlich. Kurzum: gut gemeint, aber schlecht gemacht. Wir haben zusammengetragen, welche Ideen uns bereichern und welche absolute Flops sind.
Top 1: Das 9-Euro-Ticket
Für 9 Euro durch ganz Deutschland – egal ob mit der Bahn, dem Bus oder der Tram. Durch die Explosion der Benzinpreise und nach den tristen Corona-Jahren, hat die Bundesregierung zum Sommerstart das 9-Euro-Ticket eingeführt. Passend zur grünen Wende sollen die Menschen raus aus den Autos und rein in die Öffis. Laut dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen wurde das 9-Euro-Ticket im Aktionszeitraum von Mai bis Juli ganze 52 Millionen Mal verkauft und soviel CO2 eingespart wie ein Jahr Tempolimit auf der Autobahn. Gut, dass die Idee einen Nachfolger finden soll – wenn voraussichtlich auch zu einem weit höheren Preis.
Top 2: Das Null-Euro-Ticket
Einen Schritt weiter geht Luxemburg. Im Zwergstaat gibt es das System bereits seit März 2020, denn er ächzt unter dem Pendelverkehr aus Deutschland und Frankreich und den damit einhergehenden Staus. Um Pendler:innen zum Umstieg auf Park und Ride zu bewegen, hat das Land die kostenlose Nutzung des ÖPNV eingeführt – Luxemburg ist damit das weltweit erste Land, in dem man gratis reist. Das kostenlose Angebot richtet sich nicht nur an Pendler:innen, sondern auch an Einwohner:innen und Tourist:innen.
Top 3: Verkehrswende auf zwei Rädern
Das Transportmittel Fahrrad ist gut für die Gesundheit und für den Klimaschutz. Es gilt als wichtiger Baustein der Verkehrswende. Immer mehr Städte versuchen darum, ihre Infrastruktur dementsprechend anzupassen. Um mehr Verkehrsraum für Fahrräder zu schaffen, müssen Autos ihre Fahrspuren und Parkplätze abgeben. Das Angebot der Sharingdienste, von Fahrradparkhäusern und des Ausbaus der Radwege führt dazu, dass immer mehr zum Zweirad, anstelle des Vierrads greifen. Als – für deutsche Verhältnisse – leuchtende Beispiele gelten laut ADFC unter den Städten mit über 500.000 Einwohner:innen Bremen und Hannover, unter Städten mit 200.000 bis 500.000 Einwohner:innen Karlsruhe und Münster sowie Göttingen und Erlangen im Bereich ab 100.000 Einwohner:innen.
Top 4: Verkehrswende auf vier Rädern
Je weniger Pkws es gibt, desto mehr Parkplätze oder mehrspurige Straßen können zurückgebaut und für Grünflächen genutzt werden – in der Stadt ein wichtiges Ziel, um gegen die Auswirkungen des Klimawandels anzukommen. Carsharing-Dienste bieten zumindest in größeren Städten eine gut funktionierende Alternative zum eigenen Pkw. Interessant ist darum vor allem, was sich auf dem Land tut. Auch kommt die Mobilitätswende langsam in die Gänge: Ob es findige Tüftler wie Remi Crameri sind, der in der ländlichen Schweiz im Kanton Graubünden kurzerhand ein eigenes elektrisches Carsharing-Unternehmen für sich und seine Mitbürger:innen gründet. Oder die Idee von Calw Energie, die im Schwäbischen E-Fahrzeuge für alle anbietet – aber Betriebe auch dazu motivieren will, ihre eigenen Pkw zur Verfügung zu stellen, wenn diese nicht gebraucht werden.
Top 5: Verkehrswende auf der Schiene
Dass der deutsche Schienenverkehr marode ist, kriegen (leider) auch unsere Nachbar:innen immer häufiger zu spüren. Die sonst überpünktliche und heilige Schweizer Bahn kämpft mit Verspätungen im deutschen Ausland ebenso, wie es unsere heimische Bahn tut. Auch wenn wir weit davon entfernt sind, Jubelschreie durch die FUTURE MOVES-Redaktion zu schicken, so freuen wir uns doch darüber, dass alleine in diesem Jahr fast 14 Milliarden Euro in die Schieneninfrastruktur fließen. Die Highspeed-Strecken zwischen München und Stuttgart und jene zwischen Karlsruhe und Basel sollen einen ordentlichen Fortschritt machen, die durchs Hochwasser zerstörte Bahn in der Eifel renoviert werden. Über 20.000 Menschen stellt die Bahn in diesem Jahr ein. Mehr, schneller, weiter so!
Flop 1: Das 9-Euro-Ticket
Richtig gesehen, das 9-Euro-Ticket war bereits in unseren Tops aufgelistet. Doch neben den Vorteilen bringt es auch zahlreiche Nachteile mit sich und zeigt schonungslos, wo es noch Handlungsbedarf gibt. Zum einen waren die Verkehrsverbünde mit dieser Entscheidung nicht gerade glücklich und führen an, dass der Bund die fehlenden Einnahmen nicht hinreichend gedeckt haben soll. Außerdem fühlten sie sich überrannt: Auch ohne das 9-Euro-Ticket waren viele Busse und Bahnen bereits ausgelastet, Personal und neue Kapazitäten konnten die Betriebe nicht aus dem Hut zaubern. Überfüllte Züge, Verspätungen, Ausfälle oder Sperrungen sind hier die Quittung, die die Nutzer:innen des billigen Nahverkehrstickets zu spüren bekommen und das bereits seit der ersten Bewährungsprobe: dem Pfingstwochenende. Und dann gibt es noch Untersuchungen, die zeigen sollen, dass nur drei Prozent ihr eigenes Auto seltener nutzen und es zu mehr Verkehr gekommen sein soll. Statt über den Preis könnte man mit „Nudging“ Menschen in den ÖPNV locken. Im Angesicht der geplanten bundesweit gültigen und in den meisten Fällen gegenüber der bisherigen Monatskarte preisgünstigeren Alternative ist ein Ausbau der Kapazitäten umso dringlicher.
Flop 2: App in der Sackgasse
Ein echter Reinfall ist die Autobahn-App des Bundes, die als Meilenstein der Digitalisierung des Verkehrswesens vorgestellt wurde: Verkehrsinformationen und weitere Daten sollten in nur einer Anwendung gebündelt werden. Eigene Routen, aktuelle Verkehrsmeldungen wie Baustellen und Sperrungen, E-Ladestationen, Raststätten etc. versprach man den Nutzer:innen. Einen Blick durch 1.000 Webcams entlang der Autobahnen sollten sie sogar erhaschen können. Doch der Webcam-Zugriff wurde kurz nach Start abgeschaltet, die Wegbeschreibung inklusive aller Störungen muss man sich merken, denn eine Navigations-Funktion fehlt. Die Entwicklungskosten der App lagen bei rund 1,2 Millionen Euro.
Flop 3: Der digitale Führerschein der Bundesregierung
Eine Panne jagt die nächste: Im Geiste der Digitalisierung plante die Bundesregierung die Einführung des digitalen Führerscheins. Bereits für Oktober 2020 wurde die Einführung der App angekündigt, ein Jahr später als geplant kam es dann auch dazu. Doch schon wenige Tage später war die App aus sämtlichen Downloadportalen wieder gelöscht. Es stellte sich heraus, dass die technische Sicherheit nicht gewährleistet war und auch der Nachweis der Fahrerlaubnis aus rechtlichen Gründen nicht möglich war. Mehrere Wochen sollte es dauern, bis die App wieder verfügbar sei: Doch aus mehreren Wochen wurde bereits fast ein Jahr. Wann der digitale Führerschein nun kommt ist offen.
Flop 4: Mobility Inside
Eine einzige App soll deutschlandweite Verbindungsauskünfte für Bus und Bahn liefern, Sharing-Angebote berücksichtigen und ebenfalls verbundübergreifend Tickets verkaufen: das ist das Ziel von Mobility Inside. Zudem soll ein multimodales Routing mit Carsharing, E-Bikes und E-Rollern angeboten werden. Seit ein paar Monaten ist die App zu finden – aber nicht unter dem Namen „Mobility Inside“, sondern beispielsweise unter „MVG Deutschland“ oder „RMV Deutschland“ – jeder Verkehrsverbund erhielt also eine eigene Whitelabel-App. Bei der Routenführung ist Google Maps weit überlegen, das Buchen eines Tickets teilt sich oft in drei Buchungsschritte bei drei ÖPNV-Anbietern auf. So wird das nix.
Flop 5: Der Tankrabatt
Wir verstehen, dass niedrige Einkommen entlastet werden müssen, doch klimaschädliche Maßnahmen wie der Tankrabatt sind beim besten Willen nicht das Mittel der Wahl. Zum einen, weil er Vielfahrer:innen zugute kommt und Autobesitzer:innen mit Spritschluckern in der Garage. Zum anderen, weil eine minimale Anpassung der Geschwindigkeit zu deutlich höheren Ersparnissen geführt hätte, wie der Verkehrsclub Österreich ausgerechnet hatte. Und dort gibt es bereits ein Tempolimit. So wie in Deutschland gedacht wird, verlieren Klima und Staat, die soziale Gerechtigkeit leidet – nur die Mineralölkonzerne dürfen sich freuen.
Hast du noch Tops und Flops in petto? Vielleicht sogar welche, die für eine eigene Story taugen? Dann schreib uns gerne an pitch@futuremoves.com. Für Tipps sind wir immer dankbar.