Dank Metaverse und schönem Wetter zur Verkehrswende
Der Weg zur Verkehrswende führt über staubige Bürgerbeteiligungsverfahren, die kaum auf Interesse stoßen. Können Technologien bei der urbanen Umverteilung helfen? HCU-Dozent Daniel Jenett glaubt: ja! Doch gegen Hamburger Wetter kommt das Metaverse nicht an
Viele wollen sie: die Verkehrswende. Der Begriff meint eine gerechtere Verteilung des öffentlichen Raums zugunsten klimafreundlicher und inklusiverer Mobilität und weniger Raum fürs Auto. Gerade in dicht besiedelten Gebieten ein nachvollziehbarer Wunsch, der aber an in der Realität seine Tücken hat: das Bürgerbeteiligungsverfahren ist eine davon. Daniel Jenett ist Dozent an der HafenCity Universität in Hamburg und erklärt: „Das ist ein bisschen wie die Steuererklärung, der Prozess ist in sich schon so trocken und fürchterlich, dass man so froh ist, wenn man es hinter sich hat. Der ist nicht so angelegt, dass man gewonnen werden möchte, sondern der ist häufig wirklich sehr behördlich und technokratisch.“
Wo könnte Raum abgeknapst und umgewidmet werden? Für was wird er genutzt? Wo parken Autos, Fahrräder und E-Scooter? Wo dürfen Außenbereiche für Restaurants entstehen? Ist genug Platz für Fußgänger:innen? Werden die Bedürfnisse von Behinderten berücksichtigt? „Das Quartiersmanagement ist die öffentliche verantwortliche Seite, die sozusagen ganz unten auf der Hierarchieebene mit den Anwohnern direkt in Kontakt steht.“ Ihm kommt damit eine besondere Verantwortung zu, weil es die am wenigsten bürokratische Ebene der Bürgerbeteiligung ist. In Veranstaltungen informiert das Quartier über Baumaßnahmen, neue Straßenführung oder Parklets und dann sammelt es das Feedback der Menschen. Doch wie kommt man an die Anwohnenden heran? Um künftig mehr und besseres Feedback zu gewinnen, hat sich Jenett eines Megatrends bedient: dem Metaverse.
„Alles immer mit dem Motiv im Hintergrund, dass man die Öffentlichkeit integriert“
Daniel Jenett, Dozent HafenCity Universität
Um zu verstehen, wie das klappt, lohnt eine Annäherung über die umstrittenen E-Scooter. Ob man sie mag oder nicht, ist erstmal egal. Fakt ist: Sie sind überall und bringen Probleme mit sich, weil sie oft unachtsam abgestellt werden. Insbesondere im beliebten Portugiesenviertel im Hamburger Stadtteil Neustadt drängen sich in verhältnismäßig engen Straßen Fußgänger an Restaurants und parkenden Autos vorbei – Stress ist vorprogrammiert.
Das kann so nicht bleiben: „Mit dem Quartiersmanagement habe ich mehrmals zusammengearbeitet und Projekte und Ideen für Parkraum, Parklets, Umgestaltung des öffentlichen Raumes auf den Weg gebracht. Und alles immer mit dem Motiv im Hintergrund, dass man die Öffentlichkeit auch integriert in diese Maßnahmen. Das heißt Partizipation für die Stadtplaner und Entwickler.“ Jenett hat also zusammen mit Studierenden seines HCU-Kurses zum Thema Stadtplanung eine Augmented-Reality-Anwendung entwickelt und QR-Codes im Portugiesenviertel verteilt, die Anwohnende scannen konnten, um vorgeschlagene Veränderungen zu visualisieren und sich an der Diskussion zu beteiligen.
Dafür gab es unterschiedliche Projekte: eines sah die permanente Nutzung von Parkraum als Restaurant-Außenbereich vor, so wie es seit der Coronapandemie häufig gemacht wird. Andere schlugen Logistik- und Mobilitätshubs anstelle von Parkraum vor, um Alternativen zum privaten Pkw anzubieten. Ein saisonales Konzept widmete eine Straße im Winter dem Eislaufen und im Sommer den Skateboard- und Inline-Fahrer:innen. Das Ziel des Reallabors: die Multikultur zu fördern, das Portugiesenviertel klimaresilient zu gestalten und die Aufenthaltsqualität zu erhöhen.
„Die meisten hatten Beschwerden vorzutragen“
Daniel Jenett, Dozent HafenCity Universität
Das Feedback fiel gemischt aus und das aus einem unvorhergesehenen Grund: Beim ersten Rundgang zur Besprechung der Vorschläge war miesestes Sturmwetter an einem Montag in Hamburg. „Das hat dazu geführt, meiner Meinung nach, dass nur Leute teilgenommen haben, die absolut aus dem einen oder anderen Grund gesagt haben: Das muss sein, da gehe ich hin. Die meisten hatten Beschwerden vorzutragen.“ Ganz anders die Reaktion bei besserem Wetter: „Der Sonntag war etwas friedlicher mit Sonne und dann gab es die Möglichkeit gemächlicher zu machen, weil es eben kein Arbeitstag ist. Da sind die Leute auch mehr ins Gespräch gekommen.“ Auch die extravaganteren Vorschläge wurden nicht abgeschmettert. „Das schöne Wetter trägt eben auch zu besserem Grundgefühl bei.“
Manche können nicht auf Parkplätze vor dem Geschäft verzichten, andere haben schlicht die Befürchtung, dass sich die ohnehin angespannte Parkplatzsituation verschlimmere, wieder andere sehen den Sinn in der saisonalen Umgestaltung nicht. Am Ende gab es zumindest einen Minimalkonsens: Ein Parkplatz soll umgewidmet werden, um E-Scootern ein Zuhause zu geben. Verkehrswende in kleinen Schritten? Immerhin. Jenett hat bewiesen, dass digitale Mittel dabei helfen können, den öffentlichen Raum von morgen zu gestalten. Nur das Wetter muss dann noch mitspielen.
Auf Linkedin kannst du den vollständigen Artikel von Daniel Jenett und die Ergebnisse des Projekts einsehen.
Want to know more?
Daniel Jenett
Er ist Design-Consultant, der die Zukunft der urbanen Mobilität gestalten möchte. Außerdem ist Daniel Jenett Dozent für Stadtplanung an der Hamburger HafenCity Universität und für Motion Design an der Fachhochschule Joanneum in Graz. Er bezeichnet sich als Fahrrad-Aktivist.
Sascha Bartz
Zu den Aufgaben von Quartiersmanager Sascha Bartz zählen die Umsetzung von Konzepten der Interessengemeinschaft Großneumarkt-Fleetinsel und die Vernetzung lokaler Interessengruppen. Hauptberuflich ist er Archtitekt.