So scheiterte das Gigantenprojekt des Motorsports – vorerst zumindest
Die DTM Electric sollte die beliebte Rennserie in eine elektrische Zukunft führen – ist durch den Verkauf an den ADAC alles vorbei?
Es sind spannende Tage im deutschen Motorsport: Die DTM wechselt den Besitzer. Der ehemalige Formel-1-Star Gerhard Berger, der die Dachgesellschaft ITR 2019 von den Herstellern Audi, Mercedes und BMW übernommen hat, verkauft die Marke an den ADAC. Es ist die nächste Rettungsaktion für die deutsche Top-Rennserie, doch sie offenbart auch das Problem, dem sich der Rennsport nicht nur hierzulande stellen muss. „Es wurde immer klarer, dass Sponsoren nicht mehr bereit sind, für eine reine Verbrenner-Plattform zu bezahlen“, erklärt Berger. „Nachhaltigkeit steht im Mittelpunkt. Deshalb haben sie ihre Budgets an die DTM Electric geknüpft. Das hat es für uns nicht einfacher gemacht.“
Die DTM Electric sollte eigentlich die Zukunft der DTM sichern. Ab 2024 war sie als zusätzliche Rennserie auf der DTM-Plattform geplant. Mehr als 100 Mitarbeitende haben bis 2022 an Konzept und Auto gearbeitet. Ein herausforderndes Projekt. „Eine elektrische Rennserie ist mehr, als vier Reifen an ein Auto zu schrauben“, erklärte der damalige DTM-Technikchef Michael Resl. Und er sollte Recht behalten. Durch den Verkauf steht die DTM Electric und damit die Chance auf fesselnden, elektrischen Motorsport, der bei den Fans gut ankommt, vor dem Aus. Oder?
Entwicklung und Konzeption waren bereits im Frühjahr 2022 weit fortgeschritten. Das futuristische Modell sollte sich individuell an den Hersteller anpassen lassen. So wäre das Gesicht der Marke wiedererkennbar, obwohl alle Autos unter der Silhouette einheitlich sind. „Alle Carbon-Bauteile mit Ausnahme des Monocoques werden wir aus nachhaltigen Flachsfasern bauen“, lautete gemäß Resl der Plan.
„Es wird ein Ritt auf der Kanonenkugel“
Michael Resl, DTM-Technikchef
Vier Elektroantriebe des Innovationspartners Schaeffler, je zwei an der Vorder- und zwei an der Hinterachse, sollten das Auto antreiben. Der Clou: Alle vier können unabhängig angesteuert werden, um die volle Antriebsleistung je nach Fahrsituation abzurufen. Ergebnis: mehr als 1000 PS Systemleistung. „Wir lassen den Fahrer spüren, dass er was können muss“, erklärte Resl. „Von 0 auf 200 geht’s in unter fünf Sekunden. In der Spitze schaffen wir 320 km/h. Die Fahrzeuge haben sehr wenig Abtrieb, durch die radindividuelle Steuerung kann man aber trotzdem sehr schnell durch die Kurve fahren. Es wird – wie Gerhard Berger sich das gewünscht hat – der Ritt auf der Kanonenkugel.“
Als Herzstück war ein Energiespeicher mit einer Kapazität von einem Megawatt geplant. „Das sind sehr viele Taschenlampen-Batterien. Die brauchen wir, weil wir mehr als 20 Minuten fahren wollen“, verriet der Technikchef. Das Problem: So ein Batterie-Pendant gibt es bislang nirgends. Bei der DTM gab man sich dennoch optimistisch: „Mit ein bisschen Gehirnschmalz und guten Kooperationen bauen wir diesen Energiespeicher.“ Der dann auch Teil des Wettbewerbs werden sollte. Resl: „Schnellladen ist ein Megatrend der Automobilindustrie. Es kann sein, dass wir ein 20-Minuten- Rennen absolvieren, einen Ladestopp machen und anschließend ein Sprintrennen nachschießen.“
Was es nicht geben sollte: Energiemanagement wie in der Formel E. „Das heißt, wir rekuperieren bei 1000 PS mit 750 Kilowatt“, erklärte der Österreicher. „Jedes Mal, wenn der Fahrer auf die Bremse tritt, fließen 1000 PS in die Batterie zurück.“
Damit war klar: Die DTM Electric sollte das neue Gigantenprojekt des deutschen Rennsports werden. Und doch konnte sie die DTM-Plattform nicht retten. Obwohl neben Schaeffler auch Mahle an Bord war. Der Stuttgarter Autozulieferer wollte Thermomanagement-Komponenten für die Traktionsmotoren, die Getriebe sowie die Leistungselektronik liefern. Angedacht war zudem, dass das Unternehmen seine neue Immersionskühlung für Batterien mit einbringt, mit der das Laden der Akkus in wenigen Minuten möglich wird.
„Unter den aktuellen Marktgegebenheiten konnte leider kein Investor für dieses Multi-Millionen-Projekt gefunden werden. „
Gehard Berger, ITR- und DTM-Chef
Allein: Es fehlten die ganz großen Sponsoren, die unter anderem die Entwicklung der innovativen Megawattbatterie unterstützen. „Die Finanzierung gestaltete sich schwieriger als gedacht“, räumt Gerhard Berger ein. „Wir haben mit der DTM Electric zwar frühzeitig die richtigen Weichen gestellt, aber die Vorleistungen, die für die weitere Entwicklung nötig wären, sind enorm hoch. Unter den aktuellen Marktgegebenheiten konnte leider kein Investor für dieses Multi-Millionen-Projekt gefunden werden. Neben Schaeffler und Mahle gab es auch eine Zusage von Varta, die uns aber dann kurzfristig doch abgesagt haben.“
Und auch die Hersteller blieben auf Abstand. „Grundsätzlich schauen wir uns bei Porsche jede Aktivität an, die E-Mobilität in den Motorsport bringen will“, sagt Porsche-Sportchef Thomas Laudenbach. „Das gilt (…) auch für die E-DTM. Aber ich tue mich schwer damit, mit einem solchen Einheitsauto zu fahren. Das habe ich auch klar kommuniziert. Wir sind ja bereits in Serien engagiert, wo die technischen Freiheiten stark eingeschränkt sind. Aber nur noch einen Aufkleber aufs Auto zu kleben, das kann ich mir für Porsche nicht vorstellen.“
Gerhard Berger gibt trotzdem nicht auf. Die DTM Electric war kein Bestandteil des Verkaufs an den ADAC. „Wir werden uns in den nächsten Wochen mit unseren Partnern zusammensetzen und die weiteren Schritte besprechen“, erklärt er. „Ich hoffe, dass der Markt hier zu einer Investitionsbereitschaft zurückfindet.“
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Gerhard Berger
Der Tiroler fuhr von 1984 bis 1997 in der Formel 1. Von 1998 bis 2003 fungierte Gerhard Berger als Motorsport-Direktor bei BMW, von 2006 bis 2008 war er ein Besitzer des Red-Bull-Juniorteams Toro Rosso. 2017 wurde er Vorsitzender der ITR, der DTM-Dachgesellschaft, die nun durch den Verkauf an den ADAC aufgelöst wird.
Dr. Gerd Ennser
Der aus Passau stammende Gerd Ennser ist Amtsgerichtsdirektor und ist ehrenamtlicher FIA-Rennkommissar in der Formel 1. Seit 2018 ist er Vorsitzender des ADAC Südbayern , 2021 wurde er Sportpräsident des ADAC. Unter anderem will er den Nachwuchssport, alternative Antriebsformen und Simracing fördern.