In Deutschland mahlen die Mühlsteine der Bürokratie langsam. Das machte nicht nur die  Pandemie  deutlich. Auch bei der Verkehrswende ist Deutschland leider kein Vorreiter. Während Paris langsam zu einer fahrradfreundlichen Stadt wird, darf sich Deutschland noch lange nicht als Fahrradland bezeichnen.

In der öffentlichen Diskussion gibt es Dutzende Ausreden – pardon – Gründe, warum wir den Switch aufs Rad nicht besser hinbekommen. Am Enthusiasmus der Deutschen liegt das allerdings nicht: Nicht zuletzt aufgrund der Coronapandemie ist der Radverkehr in Schwung gekommen. Immer mehr Menschen besitzen ein Fahrrad, seit 2016 ist die Anzahl der Fahrräder in Deutschland um 8% gestiegen. Mehr als 60% der Deutschen fahren mehrmals im Monat Fahrrad, fast jeder Zweite noch mindestens wöchentlich. 

Dem wachsenden Interesse am Fahrradfahren stehen jedoch immer weniger Radwege entgegen, von über 8500 Kilometern im Jahr 2010 blieben 2020 nur noch weniger als 7000 Kilometer übrig – gerade Mal 80%. “Vom Fahrradland Deutschland sind wir Stand heute noch Lichtjahre entfernt. Der Ausbau der Radwege und Radschnellwege kommt kaum voran”, erklärt. Rebecca Peters, Bundesvorsitzende des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC). 

51% der deutschen Radfahrer:innen fühlen sich im Straßenverkehr nicht sicher

Fahrrad-Monitor Deutschland 2019

Dass das sogar aufs Gemüt schlagen kann, zeigt ein Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Verkehrspsychologie (DGVP). Darin wird dargelegt: Wenn Verkehrsteilnehmer:innen das Gefühl haben, dass sie an dem Erreichen ihres Ziels behindert werden, führe das zu Frustration und gelegentlich zu Aggressionen. Aufgrund des dichten innerstädtischen Verkehrs kommt es immer öfter zu dieser Situation. Aus Sicht der Autofahrer:innen enge der zunehmende Radverkehr den zur Verfügung stehenden Raum noch mehr ein, sagte der Verkehrssicherheitsexperte Siegfried Brockmann

So ist es nicht verwunderlich, dass nur 51% der deutschen Radfahrer:innen angeben, sich im Straßenverkehr sicher zu fühlen. Die drei Hauptgründe für Unsicherheit im Straßenverkehr sind demzufolge “zu viel Verkehr”, “rücksichtslose Autofahrende” und “zu wenig separate Radwege”. mögliche Lösung: die bauliche Trennung von Straßen und Radwegen. Eine Stadt in Finnland macht es vor und zeigt nebenbei: Radfahren ist nicht nur im Sommer möglich. Wenn die Infrastruktur ein sicheres Fortbewegen auf dem Fahrrad ermöglicht, fahren mehr Menschen Rad. 

Der Grund für die – erneut: pardon – ausbaufähige Radinfrastruktur ist die Fehlplanung der vergangenen Jahrzehnte: Lange Zeit wurde der Radverkehr nicht mitgedacht und im Straßenbau zu wenig Platz für nichtmotorisierten Verkehr eingeplant. Kraftfahrzeuge,  und Parkflächen wurden bevorzugt, erst danach kamen die Fußgänger:innen und Radfahrer:innen. Der im Nichts endende Radweg ist Opfer einer autozentrierten Politik. Heutzutage wird in umgekehrter Reihenfolge gedacht: Zuerst wird Platz für Fußgänger und Radfahrer geplant, dann der Raum für fließenden Autoverkehr. Wenn dann noch Platz übrig ist, kann dieser für den ruhenden Verkehr genutzt werden. 

Zur Optimierung der Infrastruktur stellt die Bundesregierung viel Geld bereit: 1,46 Milliarden Euro sind für den Ausbau der Radwege von 2020 bis 2023 vorgesehen. Doch noch immer wird zu wenig und zu langsam gebaut. 118 Millionen Euro haben Länder, Kreise und Kommunen in der letzten Legislaturperiode verpuffen lassen – nur 6,7 Millionen wurden ausgezahlt. Von einem “Versagen der Politik” sprach Oliver Luksic, verkehrspolitischer Sprecher der FDP. “Es braucht jetzt endlich eine effektive Planungsbeschleunigung, einen gezielten Bürokratieabbau und mehr Personal für die Umsetzung von Projekten.“

“Wir brauchen eine Aus- und Fortbildungsoffensive für Planer:innen und Ingenieur:innen“

Ann-Kathrin Schneider, ADFC

Doch es besteht ein Fachkräftemangel in der Baubranche: Neben ITlern oder Pfleger:innen und zählen Bauingenieur:innen zur am stärksten nachgefragten Gruppe an Fachkräften in Deutschland. Im Dezember fehlten 465.000 Menschen – doppelt so viele wie noch ein Jahr zuvor. Ann-Kathrin Schneider, Bundesgeschäftsführerin des ADFC forderte bereits im vergangenen Jahr: “Wir brauchen Radverkehrskoordinator:innen in den Regionen und eine Aus- und Fortbildungsoffensive für Planer:innen und Ingenieur:innen“ Um das ambitionierte Förderpaket des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr in Höhe von knapp 1,5 Milliarden Euro umzusetzen, braucht es einen Kraftakt, der ohne Zuwanderung aus dem Ausland kaum zu bewältigen sein wird.  Das erkennt auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, der den Zugang für ausländische Fachkräfte erleichtern möchte. Er möchte neben Weiterbildungsangeboten in Deutschland auch “die rechtlichen Voraussetzungen ändern, damit Zuwanderer leichter Zugang in den deutschen Arbeitsmarkt bekommen”. Ein Programm zur Vorqualifikation ausländischer Fachkräfte soll zu diesem Zweck ins Leben gerufen werden. “Make it in Germany!” plädiert er in einem neuen Video.

Want to know more?

Siegfried Brockmann

Siegfried Brockmann

Für den Leiter der Unfallforschung der Versicherer und Verkehrssicherheitsexperten gilt: Zum Schutz der Radfahrer:innen muss sich die Infrastruktur ändern. Denn diese sei für das Auto optimiert, so Siegfried Brockmann.

 

Rebecca Peters

Rebecca Peters

Rebecca Peters ist Bundesvorsitzende des Allgemeinen Deutschen Fahrrad Clubs (ADFC) und hat sich als Verkehrsgeographin auf nachhaltige Stadtentwicklung spezialisiert. Sie engagiert sich für eine sozialgerechte Verkehrspolitik und steht für einen Generationenwechsel im ADFC.